Quartier an der Paulusschule, Recklinghausen
 Projekt 

Investorenverfahren 2022

 

BGF: 13.555m²

87 Wohneinheiten + Gewerbe
Grundstück: 9.200m²

Zur Aufgabe

Das Grundstück der Paulusschule liegt an der wichtigen Schnittstelle zwischen den Nutzungen und Strukturen der Innenstadt und den südlich anschließenden Quartieren, die durch Wohnnutzung, Dienstleistung und Bildungseinrichtungen geprägt sind. Die wichtigen Merkmale des Grundstücks sind das historische Schulgebäude, der markante Baumbestand sowie der dichte aber auch heterogene städtische Kontext. Die Prägungen können als Einschränkung der Grundstücksnutzung gesehen werden, sie können umgekehrt aber auch als identitätsstiftend im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals interpretiert werden. Als Belastung des Grundstücks muss die dreiseitige Lärmimmission durch den Verkehr angesehen werden sowie die bislang durch einen Stellplatz genutzte städtische Brache im Norden.

Zum Städtebau

Der Entwurf integriert unterschiedliche und teils widerstrebende Anforderungen: dem Solitär des Schulgebäudes werden drei weitere Solitäre zur Seite gestellt, die zu den Straßenräumen hin angemessene Raumkanten bilden sowie nach innen differenzierte, gut nutzbare Freiräume, die den Baumbestand weitestgehend berücksichtigen und das attraktive Schulgebäude respektvoll in ihre Mitte nehmen. Als Stadtbaustein wird ein Bautypus verwendet, der bei jeweils ähnlicher Struktur unterschiedlichen Nutzungen gerecht wird und der mit seiner freien Formgebung auf die komplizierte Geometrie des Grundstücks sowie die Baumstandorte reagieren kann.
Der Straßenraum der Hertener Straße wird nicht in Gänze linear formuliert sondern durch eine kleine Aufweitung differenziert. Der Rücksprung berücksichtigt einen wichtigen vorhandenen Baumstandort und gibt der geplanten Wohnnutzung im Haus 2 eine angemessene Distanz zur Straße. Haus 1 steht unmittelbar in der Bauflucht der Hertener Straße, hier wird im Erdgeschoss auf eine Wohnnutzung verzichtet. Das Gebäude 1 ist dreigeschossig zuzüglich eines Staffelgeschosses, um eine Analogie zum südwestlichen Nachbarn herzustellen. Das Gebäude 2 ist um ein Geschoss höher; damit entspricht die Attika der Traufhöhe des Schulgebäudes.
Zur Kemnastraße hin wird eine klare Raumkante gebildet, die sich gegenüber dem südlichen Nachbargebäude um einige Meter vorschiebt; es verbleibt jedoch eine sehr breite Vorzone, die die Ausbildung eines alleeähnlichen Ausbaus der Kemnastraße erlaubt. Nordöstlich reagiert der Baukörper durch eine Schräge auf einen weiteren wichtigen Baumstandort. Das Gebäude 3 ist ebenfalls viergeschossig zuzüglich eines Staffelgeschosses, um die Traufhöhe der Schule zu erreichen. Das Staffelgeschoss rückt von der Kemnastraße jedoch zurück, um den Bezug zum gegenüberliegenden Neubau aufzunehmen. Nördlich ist dem neuen Quartier eine Grünzone vorgelagert, die zum öffentlichen Raum wird. Hier ist ein Ladenlokal mit einer Bäckerei- und Cafénutzung und Außengastronomie angeordnet, hier entstehen unter dem prächtigen Baumbestand Aufenthaltsbereiche sowie eine Fußwegeverbindung in west-östlicher Richtung. Der Höhenversprung wird auf der Fläche des heutigen Parkplatzes durch eine Terrassierung und eine Rampe überwunden, an der nordöstlichen Grundstücksecke kann auf die Stützwand nicht verzichtet werden, ohne den vorhandenen Baum zu gefährden. Hier wird eine großzügige Treppenanlage ausgebildet. Das bestehende Gebäude Hertener Straße 5 kann in der Planung nicht ignoriert werden. Hier sind wir als Planer und Bewerber in einen Dialog mit dem Eigentümer eingetreten mit dem Ziel, die Erschließung, die Freianlagen sowie die Gestaltung des Gebäudes weiterzuentwickeln und Synergien zu erzielen.

Zur Erschließung

Die äußere Erschließung des Grundstücks ist durch die dreiseitige Umfassung durch vielbefahrene Straße gesichert. Die innere Erschließung für den motorisierten Verkehr beschränkt sich auf die Zufahrten zu einer westlichen und einer östlichen Tiefgarage sowie wenige oberirdische Stellplätze in den Randlagen, die als barrierefreie Stellplätze fungieren. Der Gesamtstellplatzbedarf für PKW beträgt nach derzeitigen Regeln ca. 100 Stellplätze, der Stellplatzbedarf für Fahrräder ca. 280 Stellplätze, die in zwei Tiefgaragen und mehreren ebenerdigen Fahrradabstellanlagen gedeckt werden. Die Anzahl der PKW-Stellplätze kann ggf. auf der Grundlage eines tragfähigen Mobilitätskonzeptes reduziert werden (s. u.). Die Erschließung durch Rad- und Fußwege ist in einen nördlichen öffentlichen Teil und einen südlichen halböffentlichen Teil hierarchisiert.

Zur Architektur

Dem historischen Schulgebäude mit seinem roten Ziegel werden helle, moderne Ziegelarchitekturen zur Seite gestellt, die sich selbstbewusst und eigenständig in den Kontext einfügen. Die Fassaden sind differenziert und gegliedert durch horizontale Bänder, durch eine klare Ordnung der Öffnungen sowie durch Felder einer Holzbekleidung, die den Anteil gebrannter Materialien reduzieren und als Orte für Wohnungslüftungsgeräte zur Verfügung stehen. Die Staffelgeschosse sind insgesamt als Holzkonstruktionen mit entsprechender Holzfassade ausgebildet.
Typologisch weichen die Gebäude vom weitverbreiteten Standard linearer, zeilenförmiger Bautypen ab. Ein großzügiger zentraler Erschließungskern ist geeignet, Nutzungen sehr unterschiedlicher Art und Größe zu bedienen von den Kleinwohnungen im Haus 1 bis zu größeren Gewerbe- und Wohneinheiten im Haus 3. Damit ist auch eine große Flexibilität der Nutzungen möglich, die die Häuser zu langlebigen und damit nachhaltigen Investitionen macht. Die Treppenräume sind jeweils von oben belichtet und werden so zu attraktiven Bewegungs- und Begegnungszonen.

Zu den Nutzungen

Voraussetzung für ein sehr differenziertes Nutzungsangebot sind die beschriebenen Bautypologien. Wenngleich dieses kleine städtische Quartier nicht die gesamte Breite der Stadtgesellschaft abbilden kann, so soll es doch für unterschiedlichste Nutzergruppen geeignet sein.
Haus 1 beherbergt in Abstimmung mit der Lebenshilfe Mitte Vest e. V. ein Angebot von 26 öffentlich geförderten Kleinwohnungen für Menschen mit Einschränkungen, ergänzt um einen „Quartiersraum“ im Erdgeschoss, der zu einem belebten Treffpunkt von Bewohnern und Nachbarn werden kann. Straßenseitig ist in Analogie zu den Ladenlokalen der gegenüberliegenden Straßenseite ein kleineres Ladenlokal für einen Dienstleister ausgewiesen, da sich das die straßenseitige Erdgeschosszone nur bedingt zum Wohnen eignet. Ergänzt werden die Nutzungen durch vier Wohnungen unterschiedlicher Größe im Staffelgeschoss.
Haus 2 ist ein reines Wohngebäude, das dem Gedanken des „Mehrgenerationen-Wohnens“ gerecht wird. 24 Wohnungen sehr unterschiedlicher Größe sind um den zentralen Treppenraum gruppiert, im Erdgeschoss ist ein Fahrradraum ausgewiesen, eine der Kleinwohnungen wird als Gemeinschaftsraum genutzt, im Außenraum werden halbprivate Freisitze angeboten, die zum Treffpunkt der Bewohner werden.
Haus 3 hat aufgrund seiner Lage einen größeren Anteil an Gewerbeflächen. Die Ecksituation bietet sich für die Ansiedlung einer Bäckerei mit Café an. Aufgrund des Höhenversprungs entsteht ein attraktiver überhöhter Eingangsraum, der intern und extern durch eine Treppe und im Sinne der Barrierefreiheit durch einen Hublift überbrückt werden. Darüber hinaus werden im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss Büroflächen ausgewiesen, für die bereits ein Nutzer bekannt ist. In den darüberliegenden Geschossen werden 15 Wohnungen unterschiedlicher Größe angeboten.
Das Schulgebäude wird im Wesentlichen zu einem Wohngebäude umgenutzt. Aufgrund seiner Struktur, die durch gleichgroße Klassenräume gekennzeichnet ist, entstehen 18 Wohneinheiten, die die Größe eines Klassenraumes, ergänzt um jeweils eine benachbarte Zusatzfläche besitzen. Die erforderlichen Freisitze werden in Form von Loggien angeboten.
Zu einer wichtigen Ergänzung mit einer ausstrahlenden Wirkung für das gesamte Quartier und darüber hinaus wird das Souterrain, das aufgrund seiner guten Belichtung und seiner robusten und einfachen Ausstattung mehrere Ateliers und Werkstätten aufnehmen wird. Hier soll ein Ort für unterschiedliche kreative Nutzungen entstehen, die mit der Wohnnutzung und dem Quartiersgedanken vereinbar sind.
Um den Quartiersgedanken und die Identität der Nachbarschaft zu stärken ist die Bereitstellung einer Quartiers-App geplant, die den gegenseitigen Austausch, die Nachbarschaftshilfe und ehrenamtliche Tätigkeiten erleichtert.

Zur Nachhaltigkeit

Zur Nachhaltigkeit Das Thema umfasst zahlreiche Aspekte, deren wichtigste hier angesprochen werden: Die Energieversorgung der Gebäude erfolgt über eine elektrisch betriebene Sole-Wasser-Wärmepumpe mit Tiefenbohrungen zur Nutzung der Erdwärme. Sie dient nicht nur der Beheizung der Gebäude über eine niedertemperaturige Fußbodenheizung sondern deckt auch die Grundlast der Warmwasserbereitung ab. Die Deckung der Spitzenlast der Warmwasserbereitung erfolgt über ein BHKW. Das System wird sinnvoll ergänzt durch eine Photovoltaikanlage, die einen hohen Eigenverbrauch erzielt. Wohn- und Gewerbeflächen erhalten dezentrale Lüftungssysteme mit Wärmerückgewinnung.
Der winterliche Wärmeschutz wird für die Hüllflächen Wand, Fenster, Dach Kellerdecke durch einen Dämmstandard sichergestellt, der mindestens dem heutigen KfW 40 Standard entspricht. Dem sommerlichen Wärmeschutz zur Gewährleistung eines behaglichen Raumklimas ohne mechanische Kühlung dient ein ausgewogenes Verhältnis transparenter zu opaken Flächen, ein außenliegender Sonnenschutz, ein ausreichendes Maß an Speichermassen sowie die Möglichkeit mithilfe der Lüftungsgeräte eine Nachtauskühlung zu realisieren. Auch der hohe Grünanteil durch die große Zahl an Bäumen, durch weitgehend unversiegelte Flächen und die begrünten Dächer leisten einen Beitrag zur Reduktion der Hitzebelastung.
Die Auswahl der Baustoffe erfolgt bei der Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus der Gebäude nach den Kriterien der weitgehenden Schadstofffreiheit, der Wiederverwertbarkeit und der Betrachtung der enthaltenen „grauen“ Energie. Die Konstruktion der Staffelgeschosse als reine Holzbauten und der Ersatz eines Teils der Ziegelfassaden durch Holzfassaden dient dem Ziel, den CO2-Verbrauch der Baustoffe zu reduzieren.
Das anfallende Regenwasser wird in mehreren Schritten weitgehend auf dem Grundstück zurückgehalten: Gründächer reduzieren die Abflussmengen, Rigolen versickern in Abhängigkeit von den Bodenkennwerten einen weiteren Teil der Wassermenge, der verbleibende Anteil wird im Trennsystem zum öffentlichen Kanal geführt.
Ein quartierseigenes Mobilitätskonzept kann nur in Verbindung mit den Nutzergruppen realisiert werden. Dafür sind mit dem Wohnprojekt der Lebenshilfe und dem Konzept des Mehrgenerationenwohnens gute Voraussetzungen dafür gegeben, dass die Bewohner ein solches Konzept mittragen. Das Ziel, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren wird unterstützt durch eine sehr gute Fahrradinfrastruktur mit großzügigen Abstellanlagen innerhalb und außerhalb der Gebäude, durch eine entsprechende Anzahl an Ladestationen und durch eine gute Anbindung des Quartiers an das umgebende Radwegenetz. In den Tiefgaragen werden Stellplätze für ein Car-Sharing-Projekt reserviert, die Anzahl der Ladestationen für PKW kann durch die Planung von Lastmanagement-systemen sukzessive erhöht werden.
Ergänzend ist die Einrichtung einer Packstation im Haus 2 geplant, die die relevanten Lieferverkehre reduziert. Letztlich ist die Entscheidung, in dieser zentralen Lage zu bauen und zu wohnen, ein zentraler Schritt zur Verkehrsvermeidung.
Die Entwicklung des Nachhaltigkeitskonzeptes für das Quartiers wird begleitet vom Beratungsunternehmen NBZ-BAU, das projektspezifische Konzepte und Zertifizierungen anbietet.

Zusammenfassung

Es ist das Ziel des vorgelegten Konzeptes, ein zukunftsfähiges Stadtquartier zu entwickeln, das seiner sozialen und ökologischen Verantwortung gerecht wird und den Bewohnern, Nutzern, Gästen und Passanten mit seiner Architektur und seinen parkähnlichen Freiräumen ein modernes, zeitgemäßes Lebensgefühl vermittelt. Dazu wird eine Gebäudetypologie vorgeschlagen, die aus dem Ort und anhand der Baumstandorte entwickelt ist und architektonische Qualität nach außen und innen entwickelt.




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